„Wer bei uns mitmacht, muss auch mitessen“ sagt Felix zu mir und ich kann meine Freude kaum verbergen. Ein Gefühl des „Müssens“ will sich absolut nicht einstellen.

Den Prolog des aktuellen Menüs habe ich Dir gestern bereits vorgestellt, nun folgen nach und nach die sieben Hauptgänge plus Petit Fours, wir haben also noch einiges vor, Du und ich.

Stress am Pass

Für Neulinge wie mich ist das Getümmel rund um den Pass, also den Bereich in der Küche, an dem die Speisen angerichtet und an den Service zum Servieren übergeben werden, eine durchweg neue Erfahrung.

Beim Schicken des Prologs kommt es primär darauf an, den Überblick zu behalten. Die Gäste kommen nicht alle pünktlich, ein gemeinsamer Start in den Abend an allen Tischen war an keinem meiner bisherigen Arbeitstage möglich.

Deswegen bewegen sich die Gäste unterschiedlich schnell durch den Prolog, während Tisch 1 schon bei Prolog 4 ist, bekommt Tisch 7 erst Prolog 2.

Stress entsteht bei Frischlingen wie mir durch die Geschwindigkeit, die der Laden an allen Enden plötzlich aufnimmt und die rapide zunehmende Komplexität. Der Service steckt den den Kopf in die Küche, ruft ein kurzes Kommando wie „Drei kann an sieben!“, sofort danach folgt ein „Zwei kann an zwölf!“, Wiederholungen gibt es nicht.

Ich versuche, gleichzeitig anzurichten, an alle Komponenten zu denken, sauber zu arbeiten, Hinweisen von Felix und Thomas zu folgen, Kommandos des Services nicht zu vergessen und am Board, das in der Startphase Mastermind ist, zu markieren und festzuhalten.

Dazwischen: servieren, raus zum Gast. Teller vor Taschen stellen, Du erinnerst Dich. Multitasking ist durchaus eine meiner Stärken, hier wird diese Fähigkeit immer wieder auf’s Neue auf die Probe gestellt. Das Servieren des Prologs erfordert hohe Konzentration, fällt diese ab, passieren unweigerlich Fehler.

Entspannter wird es erst mit den Hauptgängen: spätestens zum Ende des Prologs sind alle Gäste gleichauf, die Hauptgänge des Menüs serviert das Team immer komplett an alle Tische, meist innerhalb weniger Minuten. Das spart Stress, minimiert Fehler.

Der erste Gang: Forellenkaviar, Kohlrabi, Haselnuss

Der Star ist der Kaviar. Die Gäste schauen irritiert, wenn Felix oder Thomas erklären, dass es sich beim Forellenkaviar eigentlich um ein Abfallprodukt handelt, das anfällt, wenn Feinkosthändler Forellen an Top-Restaurants der Region küchenfertig liefern.

Felix säubert den Kaviar, legt ihn in einer feinen Salzlake ein. Der Kaviar besticht durch eine unglaubliche Knackigkeit, die kleinen gelben Kügelchen flitzen nur so durch den Mund, schmecken angenehm salzig, frisch, kein bisschen muffig. Rein konzeptuell soll der Kaviar die „längste Textur“ des Gerichts besitzen, also vordergründig die Hauptrolle im Mund spielen.

Den Kaviar begleitet Kohlrabi, einmal gegart, roh sowie das Grün, in Julienne geschnitten und frittiert.

Der gegarte Kohlrabi ist eine Wucht, wunderbar weich, dennoch formstabil und gut gewürzt. Thomas kocht den Kohlrabi mit viel Salz, Pfeffer und Zucker lange in einem großen Topf. Durch die Zugabe von Salz entsteht beim Kochen osmotischer Druck, der das Wasser aus dem Kohlrabi zieht und Geschmack in den Kohlrabi bringt.

Zum Kohlrabi passt Haselnuss famos, natürlich die exzellenten aus Cadolzburg, die ich bereits in meinem ersten Artikel erwähnte. Die Haselnuss findet sich ebenfalls in zwei Texturen auf dem Teller, einmal gerieben, geradezu famos gerieben (haha!) und als Crème.

Dafür mixt Thomas die Reste, die beim Reiben zurückbleiben und eine Handvoll ganzer Nüsse mit Öl, bis ein homogenes Nussmus entsteht. Das vermischt er mit etwas Joghurt, fertig ist die Crème. Würdest Du anstelle Joghurt Nougat nehmen, wäre eine Haselnuss-Schoko-Crème fertig, die den Namen auch verdient.

Der Gedanke, Zutaten komplett zu verwerten, findet sich in allen Komponenten des Gerichts stringent wieder: Der Kohlrabi ist von Knolle bis Grün komplett verwertet, die Haselnuss in verschiedenen Texturen vorhanden, das Abfallprodukt „Forellenkaviar“ zu einem Star weiterentwickelt.

Im Mund entwickelt sich ein harmonisches Spiel aus weichen Texturen (Kohlrabi gekocht, Haselnuss-Crème) und knackigen Elementen (Kohlrabi roh, Kaviar, gehobelte Haselnüsse).

Die vegetarische Variante

Obwohl das Sosein kein vegetarisches Menü auf der Karte anbietet, versucht das Team natürlich, vegetarische Varianten einzelner Gänge anzubieten. Für den Kohlrabi ersetzen Thomas und Stefan lediglich den Forellenkaviar durch vegetarischen Kaviar.

Und das geht so: Du nimmst eine (Plastik-)Flasche Rapsöl und legst diese mehrere Stunden in die Gefriertruhe. In der Zwischenzeit gelierst Du 100 ml Flüssigkeit, z. B. Apfelsaft. Diese Flüssigkeit lässt Du dann in das eiskalte Öl tropfen. Die Tropfen werden fest, sinken zu Boden, sehen aus wie Kaviar.

Das antialkoholische Getränk dazu

Stefan entsaftet für die antialkoholische Getränkebegleitung zu diesem Gang unreife Pastorenbirnen und reife Mollebusch-Birnen und mixt den Saft mit Postelein.

Die Praxis, reife Früchte mit unreifen zu kombinieren, ist bei der Saftherstellung ein bewährtes Mittel, um eine Ausgewogenheit zwischen Süße und Säure zu erreichen.

Das Anrichten

Nachdem ich drei Tage Thomas und Stefan beim Anrichten zugesehen habe, darf ich am vierten Tag selbst Hand anlegen. Ich schneide die rohen Kohlrabischeiben mit einer Aufschnittmaschine, schneide die gekochten Kohlrabi penibel genau in gleich dicke Scheiben und nutze einen Ausstechring um beides auf dieselbe Größe zu bringen.

Auf eine Scheibe gekochten Kohlrabis lege ich eine rohe, drehe beides um, lege noch eine rohe Scheibe darauf. Dann kommt auf jeden Kohlrabi ein TL Nuss-Crème, die vorsichtig und gleichmäßig verstrichen werden muss, eine Fieselarbeit.

Darauf kommt – halb-halb – Kaviar und geriebene Haselnuss. Ganz zuoberst bilden frittiertes Kohlrabiblatt und Julienne vom Kohlrabigrün den Abschluss.

Mit einer Palette hebe ich die Kohlrabis auf die Teller, vorsichtig, der Kaviar rollt gerne durch die Gegend. Teller sauber machen, den Service rufen, fertig.

Der erste Gang ist geschickt, keine Müdigkeit vorschützen, es geht sofort weiter. Mit Topinambur, Endivie und Verjus. Darüber mehr im nächsten Artikel…