Ein Besuch im Restaurant Alexander Herrmann** in Wirsberg

Ein Besuch im Restaurant Alexander Herrmann** in Wirsberg

Veröffentlicht am 23. Juli 2022 |

Lesezeit: 8 Minuten

Die kulinarische Heimat von Alexander Herrmann liegt im oberfränkischen Wirsberg, einem kleinen Ort etwa 20 Kilometer nördlich von Bayreuth und in einer Stunde von Nürnberg aus zu erreichen. 

Das Posthotel führt Alexander Herrmann nun in fünfter Generation und hat es über die Jahre ausgebaut, erweitert und mit einem Gourmet-Restaurant versehen. Dieses besitzt seit 2008 einen Michelin-Stern, 2019 kam ein zweiter hinzu. Damit gehört das Restaurant Alexander Herrmann mit den anderen beiden Zweisterne-Restaurants Essigbrätlein und etz in Nürnberg zur kulinarischen Elite Frankens.

Gemein haben alle drei Restaurants den starken regionalen Fokus: verarbeitet werden ausschließlich Produkte aus der Region, und die hat bekanntlich viel zu bieten – viele Manufakturen, Gärtnereien, Obstbäuer:innen, Züchter:innen und Winzer:innen sorgen für eine schier grenzenlose und unglaubliche Vielfalt höchster Qualität. In Deutschland gibt es wenige Regionen, die Franken hier das Wasser reichen können.

Im Posthotel leitet Tobias Bätz die Küche seit vielen Jahren, ist kulinarischer Kopf und steht gleichberechtigt neben Alexander Herrmann im Guide Michelin. Im Gegensatz zu vielen anderen Restaurants prominenter Fernsehköche wird die Illusion, der Chef koche hier noch selbst, nicht aufrecht gehalten, es ist klar, wer das Gourmet-Schiff navigiert. Und das durchaus mit Erfolg: Mit Tobias Bätz begann die besternte Reise, die 2019 in ihrem vorläufigen Höhepunkt mit den erwähnten zwei Sternen gipfelte.

Das Restaurant bietet Platz für mehr als 60 Gäste, die an dem Mittwochabend im Juli auch anwesend sind, das Lokal ist voll. Wie im Restaurant etz beginnt der Service für alle Gäste gleichzeitig um 18 Uhr, der außergewöhnlich freundliche und angenehme Service unter der Leitung von Anja Kirchpfening ist aufmerksam, annociert Gerichte kompetent und auffallend abgestimmt. Das Team hat sich augenscheinlich Gedanken um das Storytelling gemacht, das Personal geschult und eine klare Philosophie, was mir sehr gut gefällt.

Ebenso außergewöhnlich ist die Weinauswahl, die zu 95% aus exzellenten Weinen aus Franken besteht. Die regionale Ausrichtung endet also nicht bei der Weinkarte, sondern wird dort konsequent fortgesetzt.

Das Menü – ich entscheide mich für acht Gänge “grenzenlose Heimat” – beginnt mit drei Kleinigkeiten, adrett auf einem Birkenstumpf angerichtet: Cannelloni vom Lauch mit Schwarzbrot und Meerrettich, mit Eigelb gebundene Pflanzensamen, die an Kaviar erinnern und einem frischen Happen mit Blutwurst- und Zitrusaromen. Ein schöner Auftakt.

Beim zweiten Happen handelt es sich um einen Klassiker des Hauses, dem fränkischen Schiefertrüffel, einem Pilz, der dem Trüffel ähnelt und in den schieferreichen Böden der Region vorkommt. Diesen verarbeitete das Team zu einer Paté, gefüllt mit Cassis und begleitet von einer frisch gebackenen Brioche. Das Gericht begeistert mich ob seines sauberen, klaren Geschmacks und salzig-vollmundigem Aromas.

Brot und Buddha (haha)

Vor dem ersten Gang gibt es selbst gemachtes Brot und selbst gemachte Butter, in Form eines Buddha und damit zu einem Konsonanten-armen fränkischen Kalauer verdammt. Als Flachwitzapologet kann ich mir bei aller Vorhersehbarkeit ein Grinsen nicht verkneifen. Das Grinsen verschwindet dennoch recht schnell wieder, da ich ganz persönlich eine starke Aversion gegen in Form gebrachter Lebensmittel habe – zu viel Spielerei, zu viel Ablenkung vom Wesentlichen, dem Geschmack.

Das Brot schmeckt gut, wenngleich mich die starke Kümmelnote im Verlauf des Menüs zu stören beginnt – nicht immer harmoniert das mit den Gerichten und macht es schwer, den Gaumen zu neutralisieren. Die Butter ist geschmacklich gut, mir aber zu fest und bröckelig.

Kaviar und marinierter Kohlrabi

Das Menü “grenzenlose Heimat” beginnt mit einem wunderschön anzusehenden Teller, auf dem Kohlrabi die Hauptrolle spielt. Tobias Bätz verwendet alle Teile der Pflanze, und so finden sich neben den dünn aufgeschnittenen Kohlrabischeiben gepickelte Stiele und das zu einer Crème verarbeitete Grün auf dem Teller.

Der Kohlrabi mariniert in einer Vinaigrette mit deutlich milchsauren Aromen, das Topping besteht aus Kaviar vom Baerii Stör, Emmer-Koji, Bergkoriander und zu “Katsuobushi” verarbeiteter, dünn aufgeschnittener bayerischer Garnele, der Service gießt zudem noch geröstete Getreidebutter an.

Die Garnele ist für sich genommen großartig, besitzt viel Umami und eine herzerwärmende Geschmacksdimension. Leider funktioniert das Gericht in Gänze für mich nicht, da die vielen kräftigen Aromen konkurrieren: der feine Kaviar geht völlig unter, die Milchsäure der Kohlrabi-Vinaigrette ist einfach zu scharf.

Eingelegter Spargel “Südküste”

Der zweite Gang ist ebenfalls wunderbar präsentiert. Der Spargel wurde in einen Gemüse-Sud mit fränkischem Safran eingelegt, wodurch er die schöne gelbe Färbung erhielt. Neben dem Brotmiso und Amazake-Streuseln schwimmt der Spargel in einer wunderbar deliziösen Sauce bestehend aus einem Fenchel-Ponzu, Salzzitronen-Brunoise und Teilen des Gemüse-Suds, was mich gierig löffeln lässt. Konzeptuelle Idee ist, den Spargel ähnlich einer Bouillabaisse zu aromatisieren und zu servieren, was auch ohne die fischigen Aromen gut gelingt.

Auch hier dominieren kräftige Aromen, ein Prinzip, das sich über den Abend fortsetzen wird und den Gästen in seiner Komplexität durchaus etwas abverlangt.

Gebratener Zander

Der mir etwas zu fest geratene Zander kommt mit mächtig Verstärkung: selbst in Fischsauce mariniert (Umami-Booster #1) ist er mit einer BBQ-Sauce aus geräucherten Linsen (Umami-Booster #2 + #3) glasiert und mit geriebenem Dörrfleisch einer alten Kuh getoppt (Umami-Booster #4). Der Fisch schwimmt in einer famosen Leche de tigre und wird von einem glasierten Eiszapfen, Radieschen-Kimchi, Senfaromen, Meerrettich und einem Wasabi-Blatt aus dem eigenen Garten begleitet.

Für mich sind das zu viele kräftige Komponenten, die den Geschmack in zu viele Richtungen zerren, Reduktion und Fokus würde dem Gericht aus meiner Sicht guttun.

Gebeiztes Ententatar

Das gebeizte Ententatar schwimmt in einer kräftigen Dashibrühe (famos!) und liegt auf einem Süßkartoffelpüree. Getoppt wird das Gericht mit gebackenem Ingwer, Hanfnüsschen, Joghurt und einem Kräuter-Öl. Die Aromatik bilden Bockshornklee, Schwarzkümmel, Anis, Senfsaat und Pfeffer, allesamt in Franken angebaut und produziert. Das Gericht ist harmonisch, Ente, Süßkartoffel und Dashi bilden eine schöne Soulfood-Klammer und lassen mich gierig löffeln.

Eis aus Zitronenschalen, Gurke

Ein einfacher Gang beruhigt die Geschmacksknospen: Eis aus Zitronenschalen mit einer Velouté aus Gurke und Waldmeister. Das Intermezzo macht Freude, über die Entenform des Eises nach dem Entengericht sehe ich großzügig hinweg…

Lamm vom Gutshof Polting

Vorweg: Grandios. Serviert wird ein Duett – beides für sich genommen ein Genuss. Auf dem Teller liegt ein Stück Lammkeule, technisch einwandfrei und zartrosa gebraten, dazu mit Süßholz lackierter Lauch, eine Gremolata aus Petersilienstielen, frittiertem Rosmarin und Bamberger Knoblauch. Die Sauce ist leicht und dennoch abrundend und umarmt alle Zutaten in einer höchst angenehmen Art und Weise.

Im Schüsselchen warten confierter und langsam gerösteter Lammbauch, frittierter Kimchi, eingelegte Bärlauchblätter und eine fermentierte Duxelles von Apfel und Staudensellerie. Davon wünsche ich mir eine große Schüssel!

Gereifter Ziegenkäse

Ok, der Titel stapelt tief. Sehr tief. Denn eigentlich handelt es sich um gereiften Ziegenkäse mit hauchdünnen Egerlingen, Kirschblütenbalsam und Kirschkernöl sowie im Salzteig getrockneter, geriebener Rote Bete und um Kirschblütenmiso. Im Zusammenspiel entsteht ein famoses Gesamtaroma, besonders gut gefällt mir daran der Bittermandel-Twist, der durch das Kirschkernöl erzeugt wird und Käse, Egerlinge und Rote Bete in besonderer Art und Weise verbindet. Ein toller Käsegang mit einer tollen Klarheit, zum Niederknien!

Sorbet vom grünen Rhabarber

Das erste Dessert besteht aus gedörrtem und zu Sorbet verarbeiteten Rhabarber, dazu eine Johannisbeerholz-Kombucha-Vinaigrette und einem Küchlein aus Haselnüssen, Créme und Nougat. Auch hier ist die Vinaigrette von außergewöhnlicher Qualität, das Dessert angenehm frisch und auffallend rund.

Kürbiskern & Limoncello

Das zweite Dessert besteht aus Kürbiskernen pur, als Paste und als Eis, in einem Sud aus (selbst gemachtem) Limoncello schwimmend. Der Clou: getoppt wird das Eis mit einer karamellisierten Sojasauce, die mit Salzkaramell vergleichbar ist und viel geschmackliche Tiefe zufügt.

Fazit

Das Team um Tobias Bätz löste das Versprechen “grenzenloser Heimat” vollständig ein – die Produktqualität aus fränkischen Manufakturen und Betrieben erwies sich wieder einmal als bestechend hoch.

Die Gerichte sind in Summe kräftig und vielschichtig, dadurch oft komplex und durchaus anspruchsvoll. Lamm und Ziegenkäse werden mir geschmacklich lange in Erinnerung bleiben. Das Team hat ein Händchen für außergewöhnlich gute Saucen und Vinaigrettes, die Brücken bauen, umarmen und zum gierigen Löffeln einladen. Persönlich würde ich mich über mehr (frische) Gemüseanteil und weniger Komponenten in Summe freuen – was aber meinem sich in den letzten Jahren entwickelten Faible für eine relativ schnörkellose Produktküche geschuldet ist.

Dementsprechend ergänzt die Küche von Tobias Bätz in ihrer Komplexität die Auswahl an regional-fokussierter fränkischer Hochküche ungemein. Um mit der Kategorisierung des Guide Michelin zu enden: ein Besuch in Wirsberg ist einen Umweg und damit einen Ausflug nach Oberfranken wert.

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Die kulinarische Heimat von Alexander Herrmann liegt im oberfränkischen Wirsberg, einem kleinen Ort etwa 20 Kilometer nördlich von Bayreuth und in einer Stunde von Nürnberg aus zu erreichen. 

Das Posthotel führt Alexander Herrmann nun in fünfter Generation und hat es über die Jahre ausgebaut, erweitert und mit einem Gourmet-Restaurant versehen. Dieses besitzt seit 2008 einen Michelin-Stern, 2019 kam ein zweiter hinzu. Damit gehört das Restaurant Alexander Herrmann mit den anderen beiden Zweisterne-Restaurants Essigbrätlein und etz in Nürnberg zur kulinarischen Elite Frankens.

Gemein haben alle drei Restaurants den starken regionalen Fokus: verarbeitet werden ausschließlich Produkte aus der Region, und die hat bekanntlich viel zu bieten – viele Manufakturen, Gärtnereien, Obstbäuer:innen, Züchter:innen und Winzer:innen sorgen für eine schier grenzenlose und unglaubliche Vielfalt höchster Qualität. In Deutschland gibt es wenige Regionen, die Franken hier das Wasser reichen können.

Im Posthotel leitet Tobias Bätz die Küche seit vielen Jahren, ist kulinarischer Kopf und steht gleichberechtigt neben Alexander Herrmann im Guide Michelin. Im Gegensatz zu vielen anderen Restaurants prominenter Fernsehköche wird die Illusion, der Chef koche hier noch selbst, nicht aufrecht gehalten, es ist klar, wer das Gourmet-Schiff navigiert. Und das durchaus mit Erfolg: Mit Tobias Bätz begann die besternte Reise, die 2019 in ihrem vorläufigen Höhepunkt mit den erwähnten zwei Sternen gipfelte.

Das Restaurant bietet Platz für mehr als 60 Gäste, die an dem Mittwochabend im Juli auch anwesend sind, das Lokal ist voll. Wie im Restaurant etz beginnt der Service für alle Gäste gleichzeitig um 18 Uhr, der außergewöhnlich freundliche und angenehme Service unter der Leitung von Anja Kirchpfening ist aufmerksam, annociert Gerichte kompetent und auffallend abgestimmt. Das Team hat sich augenscheinlich Gedanken um das Storytelling gemacht, das Personal geschult und eine klare Philosophie, was mir sehr gut gefällt.

Ebenso außergewöhnlich ist die Weinauswahl, die zu 95% aus exzellenten Weinen aus Franken besteht. Die regionale Ausrichtung endet also nicht bei der Weinkarte, sondern wird dort konsequent fortgesetzt.

Das Menü – ich entscheide mich für acht Gänge “grenzenlose Heimat” – beginnt mit drei Kleinigkeiten, adrett auf einem Birkenstumpf angerichtet: Cannelloni vom Lauch mit Schwarzbrot und Meerrettich, mit Eigelb gebundene Pflanzensamen, die an Kaviar erinnern und einem frischen Happen mit Blutwurst- und Zitrusaromen. Ein schöner Auftakt.

Beim zweiten Happen handelt es sich um einen Klassiker des Hauses, dem fränkischen Schiefertrüffel, einem Pilz, der dem Trüffel ähnelt und in den schieferreichen Böden der Region vorkommt. Diesen verarbeitete das Team zu einer Paté, gefüllt mit Cassis und begleitet von einer frisch gebackenen Brioche. Das Gericht begeistert mich ob seines sauberen, klaren Geschmacks und salzig-vollmundigem Aromas.

Brot und Buddha (haha)

Vor dem ersten Gang gibt es selbst gemachtes Brot und selbst gemachte Butter, in Form eines Buddha und damit zu einem Konsonanten-armen fränkischen Kalauer verdammt. Als Flachwitzapologet kann ich mir bei aller Vorhersehbarkeit ein Grinsen nicht verkneifen. Das Grinsen verschwindet dennoch recht schnell wieder, da ich ganz persönlich eine starke Aversion gegen in Form gebrachter Lebensmittel habe – zu viel Spielerei, zu viel Ablenkung vom Wesentlichen, dem Geschmack.

Das Brot schmeckt gut, wenngleich mich die starke Kümmelnote im Verlauf des Menüs zu stören beginnt – nicht immer harmoniert das mit den Gerichten und macht es schwer, den Gaumen zu neutralisieren. Die Butter ist geschmacklich gut, mir aber zu fest und bröckelig.

Kaviar und marinierter Kohlrabi

Das Menü “grenzenlose Heimat” beginnt mit einem wunderschön anzusehenden Teller, auf dem Kohlrabi die Hauptrolle spielt. Tobias Bätz verwendet alle Teile der Pflanze, und so finden sich neben den dünn aufgeschnittenen Kohlrabischeiben gepickelte Stiele und das zu einer Crème verarbeitete Grün auf dem Teller.

Der Kohlrabi mariniert in einer Vinaigrette mit deutlich milchsauren Aromen, das Topping besteht aus Kaviar vom Baerii Stör, Emmer-Koji, Bergkoriander und zu “Katsuobushi” verarbeiteter, dünn aufgeschnittener bayerischer Garnele, der Service gießt zudem noch geröstete Getreidebutter an.

Die Garnele ist für sich genommen großartig, besitzt viel Umami und eine herzerwärmende Geschmacksdimension. Leider funktioniert das Gericht in Gänze für mich nicht, da die vielen kräftigen Aromen konkurrieren: der feine Kaviar geht völlig unter, die Milchsäure der Kohlrabi-Vinaigrette ist einfach zu scharf.

Eingelegter Spargel “Südküste”

Der zweite Gang ist ebenfalls wunderbar präsentiert. Der Spargel wurde in einen Gemüse-Sud mit fränkischem Safran eingelegt, wodurch er die schöne gelbe Färbung erhielt. Neben dem Brotmiso und Amazake-Streuseln schwimmt der Spargel in einer wunderbar deliziösen Sauce bestehend aus einem Fenchel-Ponzu, Salzzitronen-Brunoise und Teilen des Gemüse-Suds, was mich gierig löffeln lässt. Konzeptuelle Idee ist, den Spargel ähnlich einer Bouillabaisse zu aromatisieren und zu servieren, was auch ohne die fischigen Aromen gut gelingt.

Auch hier dominieren kräftige Aromen, ein Prinzip, das sich über den Abend fortsetzen wird und den Gästen in seiner Komplexität durchaus etwas abverlangt.

Gebratener Zander

Der mir etwas zu fest geratene Zander kommt mit mächtig Verstärkung: selbst in Fischsauce mariniert (Umami-Booster #1) ist er mit einer BBQ-Sauce aus geräucherten Linsen (Umami-Booster #2 + #3) glasiert und mit geriebenem Dörrfleisch einer alten Kuh getoppt (Umami-Booster #4). Der Fisch schwimmt in einer famosen Leche de tigre und wird von einem glasierten Eiszapfen, Radieschen-Kimchi, Senfaromen, Meerrettich und einem Wasabi-Blatt aus dem eigenen Garten begleitet.

Für mich sind das zu viele kräftige Komponenten, die den Geschmack in zu viele Richtungen zerren, Reduktion und Fokus würde dem Gericht aus meiner Sicht guttun.

Gebeiztes Ententatar

Das gebeizte Ententatar schwimmt in einer kräftigen Dashibrühe (famos!) und liegt auf einem Süßkartoffelpüree. Getoppt wird das Gericht mit gebackenem Ingwer, Hanfnüsschen, Joghurt und einem Kräuter-Öl. Die Aromatik bilden Bockshornklee, Schwarzkümmel, Anis, Senfsaat und Pfeffer, allesamt in Franken angebaut und produziert. Das Gericht ist harmonisch, Ente, Süßkartoffel und Dashi bilden eine schöne Soulfood-Klammer und lassen mich gierig löffeln.

Eis aus Zitronenschalen, Gurke

Ein einfacher Gang beruhigt die Geschmacksknospen: Eis aus Zitronenschalen mit einer Velouté aus Gurke und Waldmeister. Das Intermezzo macht Freude, über die Entenform des Eises nach dem Entengericht sehe ich großzügig hinweg…

Lamm vom Gutshof Polting

Vorweg: Grandios. Serviert wird ein Duett – beides für sich genommen ein Genuss. Auf dem Teller liegt ein Stück Lammkeule, technisch einwandfrei und zartrosa gebraten, dazu mit Süßholz lackierter Lauch, eine Gremolata aus Petersilienstielen, frittiertem Rosmarin und Bamberger Knoblauch. Die Sauce ist leicht und dennoch abrundend und umarmt alle Zutaten in einer höchst angenehmen Art und Weise.

Im Schüsselchen warten confierter und langsam gerösteter Lammbauch, frittierter Kimchi, eingelegte Bärlauchblätter und eine fermentierte Duxelles von Apfel und Staudensellerie. Davon wünsche ich mir eine große Schüssel!

Gereifter Ziegenkäse

Ok, der Titel stapelt tief. Sehr tief. Denn eigentlich handelt es sich um gereiften Ziegenkäse mit hauchdünnen Egerlingen, Kirschblütenbalsam und Kirschkernöl sowie im Salzteig getrockneter, geriebener Rote Bete und um Kirschblütenmiso. Im Zusammenspiel entsteht ein famoses Gesamtaroma, besonders gut gefällt mir daran der Bittermandel-Twist, der durch das Kirschkernöl erzeugt wird und Käse, Egerlinge und Rote Bete in besonderer Art und Weise verbindet. Ein toller Käsegang mit einer tollen Klarheit, zum Niederknien!

Sorbet vom grünen Rhabarber

Das erste Dessert besteht aus gedörrtem und zu Sorbet verarbeiteten Rhabarber, dazu eine Johannisbeerholz-Kombucha-Vinaigrette und einem Küchlein aus Haselnüssen, Créme und Nougat. Auch hier ist die Vinaigrette von außergewöhnlicher Qualität, das Dessert angenehm frisch und auffallend rund.

Kürbiskern & Limoncello

Das zweite Dessert besteht aus Kürbiskernen pur, als Paste und als Eis, in einem Sud aus (selbst gemachtem) Limoncello schwimmend. Der Clou: getoppt wird das Eis mit einer karamellisierten Sojasauce, die mit Salzkaramell vergleichbar ist und viel geschmackliche Tiefe zufügt.

Fazit

Das Team um Tobias Bätz löste das Versprechen “grenzenloser Heimat” vollständig ein – die Produktqualität aus fränkischen Manufakturen und Betrieben erwies sich wieder einmal als bestechend hoch.

Die Gerichte sind in Summe kräftig und vielschichtig, dadurch oft komplex und durchaus anspruchsvoll. Lamm und Ziegenkäse werden mir geschmacklich lange in Erinnerung bleiben. Das Team hat ein Händchen für außergewöhnlich gute Saucen und Vinaigrettes, die Brücken bauen, umarmen und zum gierigen Löffeln einladen. Persönlich würde ich mich über mehr (frische) Gemüseanteil und weniger Komponenten in Summe freuen – was aber meinem sich in den letzten Jahren entwickelten Faible für eine relativ schnörkellose Produktküche geschuldet ist.

Dementsprechend ergänzt die Küche von Tobias Bätz in ihrer Komplexität die Auswahl an regional-fokussierter fränkischer Hochküche ungemein. Um mit der Kategorisierung des Guide Michelin zu enden: ein Besuch in Wirsberg ist einen Umweg und damit einen Ausflug nach Oberfranken wert.

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2 Comments

  1. Randi Heiberg-Andersen 28. Oktober 2022 at 08:33 - Reply

    Eine so wohlformulierte und aufschlussreiche Beschreibung von einer gediegene Tafel habe ich noch nie gelesen! Man konnte die einzelne Gerichte förmlich „ mitschmecken“.

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