Ein Besuch im Restaurant Horváth, Berlin

Ein Besuch im Restaurant Horváth, Berlin

Veröffentlicht am 4. September 2018 |

Lesezeit: 10 Minuten

„Hallo, herzlich willkommen, wie geht es Ihnen?“ schallt es mir entgegen, als ich an meinem Tisch Platz genommen hatte. „Kommen Sie aus Österreich? Der Schweiz? Süddeutschland? Ich meine es an Ihrem Dialekt zu erkennen!“

Das Horváth in Berlin ist ein österreichisches Restaurant. Sebastian Frank, Eigentümer und Chefkoch, kam 2010 nach Deutschland, trat die Stelle des Chefkochs im Horváth an und übernahm das Restaurant zusammen mit seiner Lebensgefährtin im Jahre 2014. Seit 2015 besitzt das Restaurant am Paul-Linke-Ufer zwei Sterne im Guide Michelin.

Die Küche des Horváth basiert deutlich auf den österreichischen Klassikern, kulinarischen Kindheitserinnerungen des Küchenchefs, die er modern und kreativ interpretiert. Ähnlich wie das Essigbrätlein in Nürnberg hat sich das Horváth einen Ruf für exquisite Gemüseküche erarbeitet, in der vegetarische Gerichte gleichberechtigt neben Fisch- oder Fleischgerichten stehen.

Röstgemüsereduktion

Noch bevor mir die Menükarte vom überaus freundlichen und zuvorkommenden Service gereicht wird, geht es mit einer ersten Kleinigkeit los: am Tisch wird aus einer knallroten Kanne eine Röstgemüsereduktion eingeschenkt. Diese besteht aus verschiedenen gerösteten Gemüsen, darunter Petersilienwurzel und Karotten, aus denen Brühen angesetzt, gemischt und mit verschiedenen Kräutern wie Liebstöckel und Kerbel sowie etwas Rübenzucker und wenig Salz abgeschmeckt werden.

Ein feiner Einstieg, der die Vorfreude steigert und den Appetit anregt.

Ich entscheide mich für ein 9-Gang-Menü und eine partielle alkoholfreie Getränkebegleitung, schließlich ist das Horváth für seine Kreativität bei der Herstellung von Tees, Auszügen und Säften bekannt.

Brot und Butter

Als nächstes kommt das Brot: auf Kirschkernen („Bitte nicht essen!“) liegen Lángos, zwei kleine Stücke Roggensauerteigbrot und zwei kleine Muffins mit Blutwurst. Dazu reicht der Kellner leicht gesalzene Butter und eine kleine Portion gut gemachten Kartoffelstampf mit brauner Butter und gerösteten Bröseln aus den Kartoffelschalen.

Die ganzheitliche Verwertung von Lebensmitteln als Philosophie wird den Abend über dabei immer wieder unaufdringlich deutlich: in einem Gang kommt ein Teil eines Lebensmittels vor, in einem anderen Gang ein weiterer. Das gefällt mir, es wirkt durchdacht, macht kulinarisch Sinn und ist keinesfalls aufgesetzt.

Amuse Bouche: Schafsrahmjoghurt, Blaumohn und Radieschen

Für die ersten Gerichte liegt ein spezielles Werkzeug am Tisch bereit: ein Göffel. Dabei handelt es sich um ein Hybrid-Essbesteck, halb Gabel, halb Löffel, welches Ende des 19. Jahrhunderts beliebt zum Einsatz kam. Der Göffel ist Wahrzeichen des Horváth und findet so seine praktische Anwendung. Das Konzept des Restaurants wirkt sowieso über alle Kontaktpunkte  hinweg sehr durchdacht – von der Webseite angefangen über das Verhalten der Servicekräfte bis hin zum Ambiente und dem, was auf dem Teller passiert.

Als Amuse Bouche erreicht mich ein kleiner Teller mit Knoblauch abgeschmeckten Schafsjoghurt, darüber gerösteter Blaumohn und dazu zwei roh gegrillte und wiedererkaltete Radieschen. Die Radieschen besitzen noch ihre Schärfe, die durch den Joghurt gut eingefangen wird. Ein schöner Gang.

Der erste Gang: Grieß-Tascherl

Das eigentliche Menü startet mit einer hauchdünnen Grieß-Ravioli, mit Meerrettich gefüllt, dazu ein kalter Käserindenauszug, geröstete Selleriesaat sowie ein geeister Smoothie aus Erbsen, Petersilie, Zucchini, Kresse und Apfel.

Verschiedene Temperaturen und Texturen verbinden sich im Mund zu einer komplexen Melange, das Gericht ist handwerklich wie geschmacklich ein anspruchsvoller und exzellenter Auftakt.

Dazu gibt es eine Molke, die mit Leindotteröl, Meerrettich und Honig abgeschmeckt formidabel zum Gericht passt, ohne dabei zu schwer zu wirken.

Bei Servieren des Gerichts legt der Kellner zwei kleine Karten auf meinen Tisch: auf einem steht der Name des Gangs mit einigen Details zu den Komponenten. Auf dem anderen steht ein Zitat Ödön von Horváths, dem Namensgeber des Restaurants – wieder eines dieser einem Gesamtkonzept folgenden Details, die unaufdringlich wie Puzzleteile ineinandergreifen und nach und nach ein Bild entstehen lassen.

„Ich hab mal Gott gefragt, was er mit mir vorhat. Er hat es mir aber nicht gesagt, sonst wäre ich nämlich nicht mehr da. Er hat mir überhaupt nichts gesagt. Er hat mich überraschen wollen.“ Ödön von Horváth, Geschichten aus dem Wiener Wald.

Der zweite Gang: Felchen

Das Überraschen wollen ist im Horváth erklärtes Ziel. Dafür verlangt Sebastian Frank vom Gast ein gewisses Maß an Offenheit, was aus meiner Sicht gemäß ist. Wer nicht das komplette 9-Gang-Menü wählt, sondern nur 5 oder 7 Gänge, wird von der Küche überrascht: die Zusammenstellung der Gerichte erfolgt durch den Chefkoch.

Nun gibt es Fisch: das Bodensee-Felchen ist stark und kurz auf der Hautseite gegrillt, die Röstaromen sind deutlich schmeck- und riechbar. Davor wurden die Filets in einer Kümmelschnaps-Honig-Marinade eingelegt, was formidabel schmeckt, was mich schlicht begeistert. Dazu serviert Frank wilden Bärlauch und den aufgeschäumten Sud aus Maiskochwasser und Knoblauch, der recht dünn daherkommt, keinesfalls schwer und somit das zarte Felchen geschmacklich nicht überfrachtet und auch nicht zu schwer wiegt.

Kombinationen aus Knoblauch und Fisch mag ist sehr, so gesehen war dieser Gang für mich wie maßgeschneidert.

Der dritte Gang: Haschee

Mit dem dritten Gang erreicht mich eine dieser ikonischen Gemüsegerichte: das Haschee besteht aus gehackten („haschierten“) und dann gebratenen Kräuterseitlingen, die auf einer schaumig-luftigen Gemüseeinmachsauce liegen. Darüber finden sich klein geschnittene Petersilienstängel, am Rande des Tellers oxidierter und gedörrter Kopfsalat.

Dazu gibt es „Gulaschsaft“: aus Paprika und Birnen wird ein Saftansatz gemacht, der mit typischen Gulaschgewürzen wie Majoran, Cayenne-Pfeffer oder Kümmel die Aromatik von Gulasch annimmt, ohne dabei schwer zu sein. Der Gulaschsaft ist frisch, belebend und hebt das singulär schon gute Gemüsegericht nochmals in neue Höhen.

Der vierte Gang: Butterbrot

Nur damit wir uns gleich richtig verstehen: „Butterbrot“ als Name für diesen Gang ist völliges Understatement.

Serviert wird ein gedämpftes Malzbrot, das vorher in einer Tunke aus Schwarzbier und Schokolade getränkt wurde. Das Schwarzbier überfrachtet geschmacklich erfreulicherweise nicht. Auf dem Brot findet sich etwas Kräuterbutter, darunter eine famose Creme aus Kartoffeln mit Rahm und Knoblauch.

Dabei belassen hätte der Gang für mich schon völlig ausgereicht, die drei Komponenten verbinden sich zu einem wirklich guten Aroma, das mich begeistert. Auf dem Teller fand sich noch eine Socke Schlagsahne, die ich nicht gebraucht hätte, im Gegenteil, für meinen Geschmack brachte sie das wohlige Gleichgewicht etwas durcheinander.

Vor dem Genuss besprühte der Service den Teller noch mit einem Wacholder-Parfüm aus Gin von der Müritz, was für mich mehr Effekt als kulinarischer Zugewinn war.

Gedämpftes Brot und Kartoffelcrème hätten mir vollkommen ausgereicht.

Der fünfte Gang: Gulaschzwiebel

Die klassischen Aromen des Gulasch – also Paprika, Zwiebeln, Kümmel und Knoblauch – spielen im Menü eine große Rolle. Immer wieder tauchen diese auf, oft als vegetarische Zubereitungsform, immer mit einer deutlich pikanten Note. So auch beim fünften Gang, der für mich einer der stärksten war.

Was schlicht als „Gulaschzwiebel“ angekündigt ist, entpuppt sich als Lauch, der in der Glut gegart wurde, wobei das Äußere verbrennt und das Innere zu karamellisieren beginnt. Der Lauch war bestrichen mit einer Würzpaste vom Gulaschansatz, sehr aromatisch, mit deutlicher Cayenne-Note. Darauf: Rauchschmalz, dessen Noten aber im Gulaschgeschmack deutlich untergehen.

Daneben liegt eine in Speck und Soda conferierte Zwiebel, die ihre Schärfe verloren hat, dennoch aber saftig und süß wohlig im Mund zergeht. Der Kellner gießt als krönenden Abschluss noch einen leicht öligen Kaltauszug von Gulascharomen an, ein Fest für den Gaumen.

Dazu gibt es ein mit Apfelsaft gemischtes Malzbier, das mithilfe eines Sahnesiphons auf Eis und Zitronenzesten gespritzt wird. Schon einzeln famos ist es in Kombination mit dem Gericht eine kleine Offenbarung, für mich das wohl stimmigste Pairing des Abends.

Der sechste Gang: Grüner Paradeiser und Sardellen

Dieser Gang war mein absoluter Favorit, in seiner Anmutung und seinem Geschmack gleichermaßen schlicht wie bombastisch.

Auf dem Teller befindet sich ein Kompott aus grünen Tomaten (Paradeisern), Gurken und Staudensellerie, nach meinem Dafürhalten leicht mit Zitrus mariniert, gesalzen und auf dem eigenen Saft stehen lassen – das ist aber nur geraten.

Auf dem Kompott liegen frischer Dill, geröstete braune Senfsamen – ich vermute mit einem Saft karamellisiert – sowie eine Paste aus Sardellen, Mandeln und Entenfett zur besseren Bindung.

Das Kompott und der Dill sorgen für die Frische, die Sardellenpaste sorgt für die geschmackliche Explosion. Ein wahrer Genuss, einer meiner Lieblingsteller in diesem Jahr.

Der siebte Gang: Hend’l

Hühnchen. Spielt in der österreichischen Küche eine große Rolle, ist gut gemacht eine tolle Sache, dennoch bin ich bei Hühnchen-Gerichten immer skeptisch. War ich auch im Horváth, aber gänzlich unbegründet.

Das Kikok-Hühnchen ist perfekt gegart, die „Wurzelgemüsemilch“ dazu aromatisch. Was das Gericht aber zu etwas Besonderem macht, ist die Beilage: es gibt zwei hauchdünne Stücke Biskuit (!) mit Buttercreme als Topping (!!), in die Hühnersuppenfett (!!!) gerührt wurde. Das formt sich zu einer Umamibombe sondergleichen und bezieht dabei das Hühnchen wunderbar mit ein, es formt sich zu etwas, was ich so noch nicht gegessen habe.

Das Essig-Pilzgemüse ist mir fast zu viel dazu, ich bin mit Biskuit, Hühnchen und Hühnersuppenfett völlig zufrieden.

Die Getränkebegleitung hört auf den Namen „Apfelessig“, schmeckt auch deutlich nach Essig, für mich schon eine Spur zu viel. Den Apfelessig kocht das Küchenteam mit Zirbenholz und Rübenzucker ein.

Der achte Gang: Melanzani

Ich liebe Auberginen. Gerne sous-vide, so wie in diesem Fall, und ab sofort auch mit einer süßlichen Note. Frank vakuumiert die Auberginen mit Minz-Läuterzucker und gart sie anschließend im Wasserbad. Dadurch bekommt die Aubergine eine ganz eigene Textur, die Minze harmoniert gut.

Dazu: ein wunderbares Petersiliensorbet, ein Rezept, das schon lange auf meiner Liste steht und nun deutlich nach oben gerutscht ist.

Der Gang ist ein Dessert, wie ich es mag: aus eher untypischen Zutaten, daher frisch und anders, modern. Toll!

Der neunte Gang: Röstgemüse

Moment einmal – Röstgemüse? Wir sind doch beim Dessert? Ja! Auch meine Verwunderung war zuerst groß, was dann aber auf dem Teller war, begeisterte: eine süße Röstgemüsecrème, bedeckt von geröstetem, süßen Mehl, dazu ein Eis aus Marillenkernöl.

Das Mehl gibt dem Gericht einen schönen Twist, eine unerwartete Note.

Im Glas: geklärter Apfelsaft mit Nussholzhydrolat, für das die Rinde gedämpft und dann für einen Auszug benutzt wird. Das Getränk besitzt eine schöne Säure und erinnert etwas an den Geschmack von Apfelstrudel.

Der Abschluss: Schweineblutpraline

Ja, so habe ich auch geschaut, als sie vor mir stand, die Praline aus mit weißer Schokolade eingekochtem Schweineblut, um eine Ganache gelegt und im Reispapiersäckchen serviert. Aber was soll ich sagen? – die Schweineblutpraline schmeckt nach Butterscotch, sehr gut – ein würdiger und überraschender Abschluss.

Danke für diesen schönen, unkomplizierten und vor allem kulinarisch inspirierenden Abend – ich werde gerne wieder kommen!

Restaurant Horváth
Paul-Linke-Ufer 44a
10999 Berlin

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„Hallo, herzlich willkommen, wie geht es Ihnen?“ schallt es mir entgegen, als ich an meinem Tisch Platz genommen hatte. „Kommen Sie aus Österreich? Der Schweiz? Süddeutschland? Ich meine es an Ihrem Dialekt zu erkennen!“

Das Horváth in Berlin ist ein österreichisches Restaurant. Sebastian Frank, Eigentümer und Chefkoch, kam 2010 nach Deutschland, trat die Stelle des Chefkochs im Horváth an und übernahm das Restaurant zusammen mit seiner Lebensgefährtin im Jahre 2014. Seit 2015 besitzt das Restaurant am Paul-Linke-Ufer zwei Sterne im Guide Michelin.

Die Küche des Horváth basiert deutlich auf den österreichischen Klassikern, kulinarischen Kindheitserinnerungen des Küchenchefs, die er modern und kreativ interpretiert. Ähnlich wie das Essigbrätlein in Nürnberg hat sich das Horváth einen Ruf für exquisite Gemüseküche erarbeitet, in der vegetarische Gerichte gleichberechtigt neben Fisch- oder Fleischgerichten stehen.

Röstgemüsereduktion

Noch bevor mir die Menükarte vom überaus freundlichen und zuvorkommenden Service gereicht wird, geht es mit einer ersten Kleinigkeit los: am Tisch wird aus einer knallroten Kanne eine Röstgemüsereduktion eingeschenkt. Diese besteht aus verschiedenen gerösteten Gemüsen, darunter Petersilienwurzel und Karotten, aus denen Brühen angesetzt, gemischt und mit verschiedenen Kräutern wie Liebstöckel und Kerbel sowie etwas Rübenzucker und wenig Salz abgeschmeckt werden.

Ein feiner Einstieg, der die Vorfreude steigert und den Appetit anregt.

Ich entscheide mich für ein 9-Gang-Menü und eine partielle alkoholfreie Getränkebegleitung, schließlich ist das Horváth für seine Kreativität bei der Herstellung von Tees, Auszügen und Säften bekannt.

Brot und Butter

Als nächstes kommt das Brot: auf Kirschkernen („Bitte nicht essen!“) liegen Lángos, zwei kleine Stücke Roggensauerteigbrot und zwei kleine Muffins mit Blutwurst. Dazu reicht der Kellner leicht gesalzene Butter und eine kleine Portion gut gemachten Kartoffelstampf mit brauner Butter und gerösteten Bröseln aus den Kartoffelschalen.

Die ganzheitliche Verwertung von Lebensmitteln als Philosophie wird den Abend über dabei immer wieder unaufdringlich deutlich: in einem Gang kommt ein Teil eines Lebensmittels vor, in einem anderen Gang ein weiterer. Das gefällt mir, es wirkt durchdacht, macht kulinarisch Sinn und ist keinesfalls aufgesetzt.

Amuse Bouche: Schafsrahmjoghurt, Blaumohn und Radieschen

Für die ersten Gerichte liegt ein spezielles Werkzeug am Tisch bereit: ein Göffel. Dabei handelt es sich um ein Hybrid-Essbesteck, halb Gabel, halb Löffel, welches Ende des 19. Jahrhunderts beliebt zum Einsatz kam. Der Göffel ist Wahrzeichen des Horváth und findet so seine praktische Anwendung. Das Konzept des Restaurants wirkt sowieso über alle Kontaktpunkte  hinweg sehr durchdacht – von der Webseite angefangen über das Verhalten der Servicekräfte bis hin zum Ambiente und dem, was auf dem Teller passiert.

Als Amuse Bouche erreicht mich ein kleiner Teller mit Knoblauch abgeschmeckten Schafsjoghurt, darüber gerösteter Blaumohn und dazu zwei roh gegrillte und wiedererkaltete Radieschen. Die Radieschen besitzen noch ihre Schärfe, die durch den Joghurt gut eingefangen wird. Ein schöner Gang.

Der erste Gang: Grieß-Tascherl

Das eigentliche Menü startet mit einer hauchdünnen Grieß-Ravioli, mit Meerrettich gefüllt, dazu ein kalter Käserindenauszug, geröstete Selleriesaat sowie ein geeister Smoothie aus Erbsen, Petersilie, Zucchini, Kresse und Apfel.

Verschiedene Temperaturen und Texturen verbinden sich im Mund zu einer komplexen Melange, das Gericht ist handwerklich wie geschmacklich ein anspruchsvoller und exzellenter Auftakt.

Dazu gibt es eine Molke, die mit Leindotteröl, Meerrettich und Honig abgeschmeckt formidabel zum Gericht passt, ohne dabei zu schwer zu wirken.

Bei Servieren des Gerichts legt der Kellner zwei kleine Karten auf meinen Tisch: auf einem steht der Name des Gangs mit einigen Details zu den Komponenten. Auf dem anderen steht ein Zitat Ödön von Horváths, dem Namensgeber des Restaurants – wieder eines dieser einem Gesamtkonzept folgenden Details, die unaufdringlich wie Puzzleteile ineinandergreifen und nach und nach ein Bild entstehen lassen.

„Ich hab mal Gott gefragt, was er mit mir vorhat. Er hat es mir aber nicht gesagt, sonst wäre ich nämlich nicht mehr da. Er hat mir überhaupt nichts gesagt. Er hat mich überraschen wollen.“ Ödön von Horváth, Geschichten aus dem Wiener Wald.

Der zweite Gang: Felchen

Das Überraschen wollen ist im Horváth erklärtes Ziel. Dafür verlangt Sebastian Frank vom Gast ein gewisses Maß an Offenheit, was aus meiner Sicht gemäß ist. Wer nicht das komplette 9-Gang-Menü wählt, sondern nur 5 oder 7 Gänge, wird von der Küche überrascht: die Zusammenstellung der Gerichte erfolgt durch den Chefkoch.

Nun gibt es Fisch: das Bodensee-Felchen ist stark und kurz auf der Hautseite gegrillt, die Röstaromen sind deutlich schmeck- und riechbar. Davor wurden die Filets in einer Kümmelschnaps-Honig-Marinade eingelegt, was formidabel schmeckt, was mich schlicht begeistert. Dazu serviert Frank wilden Bärlauch und den aufgeschäumten Sud aus Maiskochwasser und Knoblauch, der recht dünn daherkommt, keinesfalls schwer und somit das zarte Felchen geschmacklich nicht überfrachtet und auch nicht zu schwer wiegt.

Kombinationen aus Knoblauch und Fisch mag ist sehr, so gesehen war dieser Gang für mich wie maßgeschneidert.

Der dritte Gang: Haschee

Mit dem dritten Gang erreicht mich eine dieser ikonischen Gemüsegerichte: das Haschee besteht aus gehackten („haschierten“) und dann gebratenen Kräuterseitlingen, die auf einer schaumig-luftigen Gemüseeinmachsauce liegen. Darüber finden sich klein geschnittene Petersilienstängel, am Rande des Tellers oxidierter und gedörrter Kopfsalat.

Dazu gibt es „Gulaschsaft“: aus Paprika und Birnen wird ein Saftansatz gemacht, der mit typischen Gulaschgewürzen wie Majoran, Cayenne-Pfeffer oder Kümmel die Aromatik von Gulasch annimmt, ohne dabei schwer zu sein. Der Gulaschsaft ist frisch, belebend und hebt das singulär schon gute Gemüsegericht nochmals in neue Höhen.

Der vierte Gang: Butterbrot

Nur damit wir uns gleich richtig verstehen: „Butterbrot“ als Name für diesen Gang ist völliges Understatement.

Serviert wird ein gedämpftes Malzbrot, das vorher in einer Tunke aus Schwarzbier und Schokolade getränkt wurde. Das Schwarzbier überfrachtet geschmacklich erfreulicherweise nicht. Auf dem Brot findet sich etwas Kräuterbutter, darunter eine famose Creme aus Kartoffeln mit Rahm und Knoblauch.

Dabei belassen hätte der Gang für mich schon völlig ausgereicht, die drei Komponenten verbinden sich zu einem wirklich guten Aroma, das mich begeistert. Auf dem Teller fand sich noch eine Socke Schlagsahne, die ich nicht gebraucht hätte, im Gegenteil, für meinen Geschmack brachte sie das wohlige Gleichgewicht etwas durcheinander.

Vor dem Genuss besprühte der Service den Teller noch mit einem Wacholder-Parfüm aus Gin von der Müritz, was für mich mehr Effekt als kulinarischer Zugewinn war.

Gedämpftes Brot und Kartoffelcrème hätten mir vollkommen ausgereicht.

Der fünfte Gang: Gulaschzwiebel

Die klassischen Aromen des Gulasch – also Paprika, Zwiebeln, Kümmel und Knoblauch – spielen im Menü eine große Rolle. Immer wieder tauchen diese auf, oft als vegetarische Zubereitungsform, immer mit einer deutlich pikanten Note. So auch beim fünften Gang, der für mich einer der stärksten war.

Was schlicht als „Gulaschzwiebel“ angekündigt ist, entpuppt sich als Lauch, der in der Glut gegart wurde, wobei das Äußere verbrennt und das Innere zu karamellisieren beginnt. Der Lauch war bestrichen mit einer Würzpaste vom Gulaschansatz, sehr aromatisch, mit deutlicher Cayenne-Note. Darauf: Rauchschmalz, dessen Noten aber im Gulaschgeschmack deutlich untergehen.

Daneben liegt eine in Speck und Soda conferierte Zwiebel, die ihre Schärfe verloren hat, dennoch aber saftig und süß wohlig im Mund zergeht. Der Kellner gießt als krönenden Abschluss noch einen leicht öligen Kaltauszug von Gulascharomen an, ein Fest für den Gaumen.

Dazu gibt es ein mit Apfelsaft gemischtes Malzbier, das mithilfe eines Sahnesiphons auf Eis und Zitronenzesten gespritzt wird. Schon einzeln famos ist es in Kombination mit dem Gericht eine kleine Offenbarung, für mich das wohl stimmigste Pairing des Abends.

Der sechste Gang: Grüner Paradeiser und Sardellen

Dieser Gang war mein absoluter Favorit, in seiner Anmutung und seinem Geschmack gleichermaßen schlicht wie bombastisch.

Auf dem Teller befindet sich ein Kompott aus grünen Tomaten (Paradeisern), Gurken und Staudensellerie, nach meinem Dafürhalten leicht mit Zitrus mariniert, gesalzen und auf dem eigenen Saft stehen lassen – das ist aber nur geraten.

Auf dem Kompott liegen frischer Dill, geröstete braune Senfsamen – ich vermute mit einem Saft karamellisiert – sowie eine Paste aus Sardellen, Mandeln und Entenfett zur besseren Bindung.

Das Kompott und der Dill sorgen für die Frische, die Sardellenpaste sorgt für die geschmackliche Explosion. Ein wahrer Genuss, einer meiner Lieblingsteller in diesem Jahr.

Der siebte Gang: Hend’l

Hühnchen. Spielt in der österreichischen Küche eine große Rolle, ist gut gemacht eine tolle Sache, dennoch bin ich bei Hühnchen-Gerichten immer skeptisch. War ich auch im Horváth, aber gänzlich unbegründet.

Das Kikok-Hühnchen ist perfekt gegart, die „Wurzelgemüsemilch“ dazu aromatisch. Was das Gericht aber zu etwas Besonderem macht, ist die Beilage: es gibt zwei hauchdünne Stücke Biskuit (!) mit Buttercreme als Topping (!!), in die Hühnersuppenfett (!!!) gerührt wurde. Das formt sich zu einer Umamibombe sondergleichen und bezieht dabei das Hühnchen wunderbar mit ein, es formt sich zu etwas, was ich so noch nicht gegessen habe.

Das Essig-Pilzgemüse ist mir fast zu viel dazu, ich bin mit Biskuit, Hühnchen und Hühnersuppenfett völlig zufrieden.

Die Getränkebegleitung hört auf den Namen „Apfelessig“, schmeckt auch deutlich nach Essig, für mich schon eine Spur zu viel. Den Apfelessig kocht das Küchenteam mit Zirbenholz und Rübenzucker ein.

Der achte Gang: Melanzani

Ich liebe Auberginen. Gerne sous-vide, so wie in diesem Fall, und ab sofort auch mit einer süßlichen Note. Frank vakuumiert die Auberginen mit Minz-Läuterzucker und gart sie anschließend im Wasserbad. Dadurch bekommt die Aubergine eine ganz eigene Textur, die Minze harmoniert gut.

Dazu: ein wunderbares Petersiliensorbet, ein Rezept, das schon lange auf meiner Liste steht und nun deutlich nach oben gerutscht ist.

Der Gang ist ein Dessert, wie ich es mag: aus eher untypischen Zutaten, daher frisch und anders, modern. Toll!

Der neunte Gang: Röstgemüse

Moment einmal – Röstgemüse? Wir sind doch beim Dessert? Ja! Auch meine Verwunderung war zuerst groß, was dann aber auf dem Teller war, begeisterte: eine süße Röstgemüsecrème, bedeckt von geröstetem, süßen Mehl, dazu ein Eis aus Marillenkernöl.

Das Mehl gibt dem Gericht einen schönen Twist, eine unerwartete Note.

Im Glas: geklärter Apfelsaft mit Nussholzhydrolat, für das die Rinde gedämpft und dann für einen Auszug benutzt wird. Das Getränk besitzt eine schöne Säure und erinnert etwas an den Geschmack von Apfelstrudel.

Der Abschluss: Schweineblutpraline

Ja, so habe ich auch geschaut, als sie vor mir stand, die Praline aus mit weißer Schokolade eingekochtem Schweineblut, um eine Ganache gelegt und im Reispapiersäckchen serviert. Aber was soll ich sagen? – die Schweineblutpraline schmeckt nach Butterscotch, sehr gut – ein würdiger und überraschender Abschluss.

Danke für diesen schönen, unkomplizierten und vor allem kulinarisch inspirierenden Abend – ich werde gerne wieder kommen!

Restaurant Horváth
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2 Comments

  1. Eli 12. November 2018 at 06:07 - Reply

    Wir gehen bei unserem jährlichen Berlinbesuch sehr gerne hier essen.
    Besonders durch die vielfältigen vegetarischen Angebote findet jeder in unserer Familie ein leckeres Essen.
    Das Essen ist sehr einfallsreich und absolut frisch.

  2. Shuttleservice Berlin 11. Juni 2021 at 15:58 - Reply

    Wow, die Fotos vom Essen sind wirklich sehr gut geworden und das Essen sieht auch fantastisch aus. Habe das Restaurant auch schon einigen Kunden empfohlen.

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