“Sizilien – Das Kochbuch” von Giorgio Locatelli [Rezension]

Published On: 27. September 2014Last Updated: 29. Juni 20184 Kommentare on “Sizilien – Das Kochbuch” von Giorgio Locatelli [Rezension]

Seit ein paar Jahren verbringe ich mit meiner Familie den Sommerurlaub in Italien, ganz klassisch am Strand. Da ich auch im Urlaub nicht ohne Kochen und Genießen sein kann, kaufe ich mir ein Kochbuch, das mich zwei Wochen lang begleitet und Inspiration für gutes Essen gibt.

In diesem Jahr fiel diese Rolle Giorgio Locatellis famosen Werk „Sizilien – Das Kochbuch“ zu. Ich hatte über Giorgios Kochbücher schon einiges in der Vergangenheit auf anderen Blogs gelesen, so dass meine Erwartungen durchaus hoch gesteckt waren. Besonders, da ich während des letzten Italien-Urlaubs eine tolle kulinarische Zeit mit dem Buch „Die Venezianische Küche“ verleben durfte. Wenn ich ein neues Kochbuch in meinem Bücherregal begrüße, so habe ich immer das gleiche Vorgehen: Ich blättere das Buch Seite für Seite durch und lasse meine Augen über Bilder und Zutaten schweifen, und wo meine hungrigen Augen hängen bleiben, wird eine Markierung gesetzt. Die Anzahl der gesetzten Markierungen ist ein erstes Gütesiegel für das Buch, und meist verändert sich später wenig. Wenig Markierungen, wenig Inspiration. Viele Markierungen, viel Inspiration. Bei „Sizilien – Das Kochbuch“ war das anders: Nach dem ersten Durchlauf hatte ich bedenklich wenig Zettel geklebt und verspürte bereits den Anflug von Enttäuschung: Was sollte ich nur im Urlaub kochen? Wir würden hungern müssen.

Nach langer Nachtfahrt über die Alpen entschädigte der Blick auf sonnenbeschienenen Strand und Meer für die Strapazen der Anreise. Mit auf mediterranes „savoir vivre“ gepoltem Geist fand ich im Liegestuhl klebend beim zweiten Durchlauf plötzlich eine Unmenge an Inspiration im Buch und die Anzahl der geklebten Zettel erhöhte sich exponentiell. Ich hatte mich beim ersten Durchsehen davon blenden lassen, dass vergleichsweise wenig Rezepte mit Bilder versehen waren. Viele Bilder sind für mich eines der wichtigsten Kriterien für Kochbücher und für den ersten Eindruck natürlich sehr, sehr wichtig.

Ich hätte mir mehr Bilder gewünscht

Tatsächlich ist dieser Umstand der spärlichen Bebilderung mein einziger ernstzunehmender Kritikpunkt: Ich finde es schade, dass dem Buch nicht mehr Bilder spendiert wurden. So mutet das Kochbuch sehr textlastig an, was auf der anderen Seite aber definitv keinen Rückschluss auf die Qualität des Inhalts zulässt. Die im Buch enthaltenen Fotos sind stilistisch authentisch und unterstreichen die Einfachheit der sizilianischen Küche, für die Giorgio Locatelli steht. Kein Schnick-Schnack, keine übermäßige Deko, kein Chi-Chi, eben so, wie ich Food-Fotografie mag.

Auf der anderen Seite ist hinsichtlich der Bildsprache ein klares Konzept zu erkennen: Das Buch ist mehr als ein pures Rezeptregister, es ist der Versuch, ein Lebensgefühl einer ganzen Insel aus kulinarischer Sicht festzuhalten. Und so finden sich neben Food-Bildern auch zahlreiche Aufnahmen aus den Straßen Palermos, Messinas oder Catanias, die sehr authentisch und nah an den Menschen sind. Würde aus dem Buch nach dem Aufschlagen etwas Sand oder Meerwasser aus der Straße von Messina purzeln, würde mich das nicht wundern.

Sizilien zum Anfassen

Das Konzept des Buchs wird besonders allen Bloggern und Lesern von Blogs gefallen: Neben den vielen Rezepten gibt es zahlreiche Hintergrundgeschichten, Einblicke in den sizilianischen Alltag, kulinarische Geschichten und Reiseführer-artige Beiträge, die Sizilien greifbar machen. Klar, wenn man am Strand sitzend in diese Welt eintaucht, wirkt alles noch viel authentischer. Besonders, wenn man direkt nach der Lektüre den Grill anfeuert und eine Portion Sardinen im Tempurateig über den züngelnden Flammen röstet und anschließend im rötlichen Schein der untergehenden Sonne genießt.

"Sizilien - Das Kochbuch" von Giorgio Locatelli [Rezension]

Giorgio bietet auf über 400 Seiten viele Rezepte geordnet nach Vorspeisen, Couscous und Suppen, Gemüse, Fisch und Meeresfrüchte, Fleischgerichte, Pasta und Desserts, den beliebten Dolci. Nach oftmaligem Durchblättern und Querlesen des Buches ist die sizilianische Küche eine Küche der Einfachheit, die von ihrer großen natürlichen Nähe zum Meer lebt und gerne mit Oliven, Pistazien und Semmelbröseln jeder Größe arbeitet. Die Liebe zu Semmelbröseln stammt aus einer Zeit, zu der Brot knapp und jede Krume wertvoll war. Aus jedem noch so alten Stückchen Brot wurde etwas hergestellt – zum Beispiel der allgegenwärtige Panzanella oder Semmelbrösel in jeder Größe und Couleur. Giorgio beschreibt sehr anschaulich, wie er sich an die vielen verschiedenen Gläser auf dem Küchenschrank seiner Oma erinnern konnte, die unterschiedliche Semmelbrösel beinhalteten. Ganz feine für die Panade oder zum Andicken von Saucen, grobe als Zugabe zu Pasta-Gerichten und geröstete, um einen bestimmten Geschmack an Salate oder Fischgerichte zu bekommen. Ich finde diesen Gedanken schön, und werde mir auch drei verschiedene Semmelbrösel-Arten zulegen. Fein, grob und goldbraun geröstet. Mal sehen, was das für neue geschmackliche Exkursionen in der Zukunft ermöglicht.

Rezepte als kulinarische Reise durch die Insel

Wenn man über die sizilianische Küche nachdenkt, gilt die erste Assoziation meist dem sizilianischen Gericht schlechthin, der Caponata. Die als „Traum einen jeden hungrigen Mannes“ beschriebene Speise ist eine süß-saure Zusammenstellung von mediterranem Gemüse, das langsam im Backofen gegart und nie heiß sondern immer lauwarm gegessen wird. Was ich gelernt habe: Auf der Insel hat jede Region ihr eigenes (bestes) Caponata-Rezept, und natürlich gibt es neben diesem immerwährenden Wettstreit auch eine sommerliche sowie eine winterliche Caponata-Version. Letztere besteht dann weniger aus Tomaten, Auberginen und Zucchini, als vielmehr aus Artischocken, Stangensellerie, Oliven, Kapern und Zwiebeln. Die Liebe der Italiener zu agrodolci – süß-saurem – ist eben nicht saisonal.

Sizilianische Caponata

Was mich besonders anspricht, ist nur eine Kleinigkeit: Jedes Rezept wird mit seinem vollständigen italienischen Namen eingeführt – die deutsche Übersetzung folgt darunter als Subtext. Die italienischen Namen der Gerichte klingen einfach nach Sonne und Meer, und verstärken so das Gefühl, auf der Mittelmeerinsel zu sitzen. Sage ich, der, während er diese Rezension schreibt, am Strand im Veneto sitzt. Jammern auf hohem Niveau. „Tagliatelle con fiori di zucchine“ jedenfalls lassen mir schon beim Durchlesen das Wasser im Munde zusammenlaufen, und enttäuschen mich auch nicht, nachdem ich den dampfenden Pott Tagliatelle meiner hungrigen Meute nach einem anstrengenden Tag am Meer serviere. Zucchiniblüten bekommt man gerade an jeder Ecke, die Bauern verkaufen auf Hochtouren und möchten ihre Lager leeren, bevor der Herbst den Staffelstab im Rennen der Jahreszeiten übernimmt. Das Gericht lebt von Safran, mit der der Sugo aromatisiert wird. Eigelb und eine gehörige Portion frisch geriebener Pecorino tun ihr Übriges für eine sämige Sauce.

Tagliatelle con fiori di zucchine

So. Jetzt müssen wir über „Melanzane a beccafico“ reden – ausgebackene Auberginen-Sandwiches mit Sardellen. Ja, die Auberginen werden mit gutem Olivenöl in der Pfanne goldbraun zum Schwitzen gebracht. Anschließend werden sie aber mit gutem Mozzarella und Sardellen bestreut und zwischen Tramezzini-Hälften gepinnt. Wer mag, kann jedem Sandwich noch ein Ei spendieren, in dem die Auberginen zusätzlich herausgebacken werden. Natüüüürlich in mittelfeinen Semmelbröseln paniert. Etwas Basilikum schaut zwischen den Schichten heraus, und die Sache ist rund. Aber sowas von. Habe ich schon einmal gesagt, dass ich Auberginen liebe? Knaller-Rezept. Und dabei so herrlich einfach.

„Melanzane a beccafico“, Auberginen-Sandwiches mit Sardellen

Kichererbsen tragen im Italienischen den neckischen Namen „ceci“ – was irgendwie passt, wie ich finde. Kichererbsen eignen sich nicht nur für Hummus oder als Hauptbestandteil eines Currys, sondern auch als Grundlage für eine schmackhafte Suppe. Zusammen mit Karotten, Staudensellerie, Zwiebeln und einer guten Brühe ist das Gericht in Handumdrehen fertig. Einzig ein vernünftiger Stabmixer sollte zum Pürieren benutzt werden, sonst bleiben in der Suppe die Schalen der Kichererbsen zurück. Aber ehrlich: Das hat bei dem Geschmack auch keinen der Probanden gestört.

Kichererbsensuppe

Weit weniger oft als Fisch und Gemüse genießen die Sizilianer Fleischgerichte. Die Rouladen nach Messina-Art können sowohl auf dem Grill als auch im Schmortopf zubereitet werden und eignen sich damit für Sommer als auch Winter. Der Clou: Die Rouladen werden mit einer Farce aus Semmelbröseln (Ach, wirklich?), Pecorino, Pinienkernen, Rosinen und Petersilie gefüllt. Das schmeckt wunderbar nussig, süß und herzhaft zugleich, eine tolle Mischung. Ich habe zu den Rouladen noch ein paar reife Tomaten gegeben und das Ganze mit weißer Polenta, einem Klassiker des Veneto, serviert.

Kalbsrouladen nach Messina-Art

Oliven sind in südlichen Ländern oft Lebenselixier. Der „Insalata di olive verdi schiacciate“ mit Oliven, Minze und Staudensellerie hat mich schon beim ersten Durchblättern des Buches sehr angesprochen und beim Probieren schließlich nahezu überwältigt. Obwohl der Salat aus nur drei Zutaten und eine einfachen Vinaigrette besteht, ist er ein wahres Geschmacksfeuerwerk. Minze und Oliven harmonieren dermaßen gut miteinander, dass es mir die Sprache verschlagen hat (Was laut meiner Frau nicht gerade oft vorkommt). Der Sellerie zeigt seine Qualitäten, indem er die Aromen ohne große Diskussion annimmt und für einen frischen, sommerlichen Salat sorgt, der natürlich am besten am Meer zu einem gebratenen Wolfsbarsch schmeckt. Fantastisch!

„Insalata di olive verdi schiacciate“ mit Oliven, Minze und Staudensellerie

Fazit

Auf Empfehlungen von lieben Blogger-Kolleginnen kann ich mich eben verlassen. Giorgio Locatelli ist mit „Sizilien – Das Kochbuch“ ein tolles, inspirierendes Werk gelungen, das es schafft, den mystischen Zauber der Insel auf die Teller des Nordens zu bringen. Die Rezepte sind durch die Bank eher neuartig, es gibt wenig, was ich bis dato schon einmal in anderen Kochbüchern oder Quellen zu sehen geglaubt habe. Das wiederum scheint mir ein Qualitätsmerkmal für Authentizität zu sein, die ich bei vielen anderen italienischen Kochbüchern oft vermisse. Die nachgekochten Rezepte waren allesamt lecker, haben wie in den Angaben funktioniert. Die verwendeten Lebensmittel sind auch in den Breiten der mittelfränkischen Marschen gut zu bekommen und nicht zu exotisch. Zusammen mit „Die Venezianische Küche“ gehört das Buch fortan zu meinen beiden liebsten Werken, wenn ich nach mediterranen Rezepten suche und die Küche Italiens mit der Nase voran seitenweise erkunden möchte. Einziger Kritikpunkt ist und bleibt die geringe Anzahl an Fotos zu den Gerichten – das aber hake ich unter Jammern auf hohem Niveau ab.

Giorgio Locatelli
Sizilien – Das KochbuchGebundene Ausgabe, 424 Seiten
Christian Verlag, 2012
ISBN13: 978-3862441525www.christianverlag.deHinweis: Alle Links zu Amazon sind Affiliate-Links.

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4 Comments

  1. Andreas 29. November 2016 at 22:30 - Reply

    Ich empfinde diese Rezension als sachlich und fair. Als ich das Buch heute zufällig in die Hand nahm, war ich auch sehr enttäuscht über die magere Bildgestaltung. Dies umso mehr, als gerade die sizilianische Küche einen optischen Augenschmaus par excellence bietet. Danke Dir für die Mühe, die Du Dir gemacht hast. Dein Text ist sehr gut geschrieben und die Bebilderung im Gegensatz zu Locatelli ganz fein.
    Beste Grüße und weiter so.
    Andreas

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