„In fünf Minuten kann der nächste Gang an Tisch sieben!“ schallt es aus dem Service-Bereich, der zwischen Gastraum und Küche liegt. „Das werden wir nicht ganz schaffen, wir geben Gas!“, surrt die prompte Antwort durch den Raum.

Es ist kurz nach 20 Uhr und in der Küche des Restaurants Sosein herrscht hohe Betriebsamkeit. Seit einer Stunde sind die Gäste da, seit einer halben Stunde rollt die Maschine. Teller klappern, auf dem Herd brodelt es in Töpfen, der Konvektomat dampft und zischt.

Und ich bin mittendrin. Denn für die nächsten beiden Wochen bin ich Praktikant. Praktikant in der Küche des Restaurants Sosein in Heroldsberg.

Kochen entlang der Zwangsläufigkeit der Natur

Mein erstes Mal im Sosein werde ich nicht vergessen. Nie habe ich besser gegessen, nie habe ich kulinarisch etwas Inspirierenderes erlebt als bei meinem Besuch Anfang September, über den ich hier in einem ausführlichen Artikel berichtet habe.

Mir war klar: liebend gerne würde ich tiefer in die Welt der Sosein-Macher eintauchen, um die Gedanken rund um eine sehr regionale und saisonale Küche besser zu verstehen. Hinter die Kulissen blicken. Zuhören. Zusehen. Lernen. Verstehen.

Der Besuch hatte Spuren hinterlassen. Typischerweise beginnt ein gutes Essen mit dem Einkauf der Waren. Nicht so im Sosein: hier beginnt gutes Essen mit der eigenen Aufzucht der Pflanzen, mit dem Sammeln von Kräutern, Beeren und Pilzen in den fränkischen Wäldern, mit der Suche nach Kleinstproduzenten, die mit viel Liebe, Handarbeit und möglichst wenig automatisierten Prozessen wundervolle Produkte herstellen.

Es geht um die Rückbesinnung auf altes Wissen zu Zubereitung und Kombination von Speisen, es geht um Saisonalität, Nachhaltigkeit und eine sehr regionale Philosophie. Was nicht in unmittelbarer Nähe wächst, wird nicht verwendet, was gerade keine Saison hat, findet sich nicht auf den Tellern – außer es wurde haltbar gemacht, um, wie es früher Gang und Gäbe war, zu einem späteren Zeitpunkt gegessen zu werden.

Die Philosophie hat mich beeindruckt, sie fiel auf fruchtbaren Boden. Der Gedanke, möglichst viel selbst herzustellen, treibt mich schon länger um, es fehlen allein Zeit und Wissen, um konsequenter zu agieren.

Durch mein Praktikum im Sosein erhoffe ich mir mehr Klarheit hinsichtlich meiner eignen kulinarischen Philosophie: ich möchte alte, eingefahrene Denkmuster auf die Probe stellen, gerne ablegen, eine Idee entwickeln, wohin ich mich kulinarisch in den nächsten Jahren bewegen möchte. Wofür ich stehen will. Erkennen, was mir wichtig ist. Ich will lernen, zusehen, zuhören, besser werden.

Gestern war mein erster Tag als Praktikant in einem Sterne-Restaurant. Was ich dort erlebe, was ich lerne – und natürlich auch, was ich esse – werde ich in den nächsten Tagen mit Dir teilen.

Wie es beginnt

Kurz nach 14 Uhr betrete ich den Personalraum und werde von Felix Schneider, dem Chefkoch, und Thomas Prosiegel, dem Sous-Chef, herzlich begrüßt. Ich schlüpfe in eine Kochjacke, lege eine Schürze an und folge Thomas in die Küche.

Das Restaurant ist für den Abend vollständig ausgebucht, 30 Gäste werden erwartet, nichts geht mehr, der Laden ist voll. Seit dem Sosein Anfang Dezember der erste Michelin-Stern verliehen wurde, steht das Telefon nicht still, Dominik Altenkamp, der Restaurantleiter, könnte jeden Platz mehrfach verkaufen.

Für das Menü des Abends, das immer aus einem Prolog von fünf Kleinigkeiten und einem Fünf-Gang-Menü besteht, das eigentlich ein Acht-Gang-Menü ist, ist ein Gang noch unklar. Das ist nicht die Regel, passiert aber hin und wieder.

Nach einer kurzen Team-Besprechung steht das Konzept, Felix und Thomas machen sich an die Umsetzung. Mich fasziniert die Ruhe, mit der gearbeitet wird, es wird nie hektisch, geübte Hände greifen ineinander, Entscheidungen werden getroffen. Ich erlebe einmal mehr, wie wichtig gute Vorbereitung ist.

Wie ein Gericht entsteht: Enten-Consommé mit Kohl-Texturen

„Für unseren Enten-Gang brauchen wir verschiedene Kohlsorten“ erklärt mir Thomas. Meine Aufgabe ist es, einzelne Blätter von Rosenkohlröschen zu lösen, etwa 120 Stück werden benötigt.

Die konzeptuelle Idee hinter dem Gericht sieht vor, Ente mit Kohl zu kombinieren. Die Enten lieferte ein Jäger, fangfrisch, samt Innereien, der Kohl stammt aus dem Nürnberger Knoblauchsland.

Felix Schneider möchte den Gästen „Ente komplett“ servieren. Und so findet sich auf dem Teller ein Tatar von Herz, Leber und Keule, daneben ein rosa Bruststück sowie der gekochte und dünn aufgeschnittene Magen des Tieres.

Den „Rest“ der Ente, also die Karkassen und Abschnitte, benutzt Felix für die Herstellung einer feinen Consommé. Nach zwei Knochenansätzen wird die Brühe geklärt und anschließend mit stark angebratenem Kohl aromatisiert. Durch das Rösten des Kohls verändert sich dessen Eiweißstruktur, Umami-Aromen entstehen und gehen in die Brühe über.

Neben der Enten-Einlage besteht das Gericht aus verschiedenen Kohlsorten. Thomas frittiert langsam und geduldig Wirsing, meine Rosenkohlblätter und das Grün von Kohlrabi (Ja! Das kannst Du essen, wie so vieles Grün verschiedener Gemüse). Das ist keine einfache Aufgabe, denn gerät der Kohl zu dunkel, entstehen unangenehme Bitteraromen.

Als alle Komponenten fertig sind, erfolgt die Probe: nichts verlässt die Küche ohne das kritische Urteil des Teams. Der passende Wein ist schnell ausgesucht, der unklare Gang klar.

Im Sosein gibt es nicht nur Wein-, sondern auch eine alkoholfreie Begleitung. Die Säfte stellt das Team selbst her. Das hat den Vorteil, dass unglaublich spannende und extrem gut passende Kombinationen geschaffen werden können, die sich unterstützen, verstärken.

Zur Ente gibt es einen famosen Saft aus Äpfeln, Beifuss und Röstzwiebelöl. Das leitende Konzept ist klar erkennbar: Der Franke kombiniert Ente gerne mit Beifuss, Apfel und Zwiebel. Kein Wunder, dass die Kombination famos passt.

Für den Saft entsaftet Pâtissier Stefan Frank Äpfel, mixt diesen mit viel Beifuß, kocht Zwiebeln in Essig und etwas Öl, püriert letzteres und fügt alle Komponenten zu einem harmonischen Getränk zusammen.

Die erste Erkenntnis reift: ich werde mich mit der Herstellung eigener Säfte, passend zu Gerichten meiner Menüs, intensiver beschäftigen.

Wie es mir ergeht

„Steh’ nicht im Weg herum“ gab mit ein Blogger-Kollege als guten Wunsch vor dem Start des Praktikums mit auf den Weg. Diesen Eindruck habe ich beleibe nicht, Thomas, Stefan und Felix binden mich aktiv ein, erklären, beantworten geduldig Fragen, lächeln in meine Kamera (mal sehen wie lange noch *g*).

Nach dem Rosenkohl reibe ich für einen Kohlrabi-Gang Haselnüsse. Die Nüsse stammen – wie kann es anders sein – von einem regionalen Lieferanten aus Cadolzburg (bei Nürnberg). „Probier mal eine Nuss“ ruft mir Thomas zu, ich lasse mich nicht lange bitten.

Schon nach dem ersten Biss ist mir klar: diese Nuss hat nichts mit den Haselnüssen zu tun, die im Supermarkt zu finden sind. Das Aroma ist unglaublich, ich könnte das ganze Glas leeren.

Felix und Thomas ist die Qualität der Ausgangswaren unglaublich wichtig. Die Suche nach geeigneten Lieferanten dauert mittlerweile mehrere Jahre, und glaubt man Felix, so wird diese wohl auch nie abgeschlossen sein. Felix und Thomas kommen mir vor wie Jäger, Jäger auf der Suche nach der besten Qualität, dem besten Geschmack, direkt aus der Region.

Aus den Nüssen fertigt Thomas zudem ein Nussmark. Dafür mixt er die Nüsse mit Öl, bis die Mischung die richtige Konsistenz erreicht hat. Mit etwas Joghurt wird daraus eine famose Crème.

Bis zum Eintreffen der Gäste entsafte ich Zuckerrüben, emulgiere Crèmes für Stefans Desserts, spüle dazwischen – im Sosein spült jeder – flämme Schwarzwurzeln, zupfe Grünkohl und bereite die Rote Bete für den ersten Prolog vor. Die Zeit vergeht wie im Flug, dann klingelt es an der Türe.

Es ist bemerkenswert, wie ein Ruck durch die Mannschaft geht, wie sich Körperspannung und -sprache mit diesem einen Moment verändert. Die Gäste sind da, und ich habe das Gefühl, alle legen einen Zahn zu. Noch einen. Nun greifen Automatismen, Profis sind am Werk, das sehe ich, das spüre ich.

Ich helfe Thomas beim Anrichten, Rote Bete mit Rosengewächsen, Schwarzwurzel mit Sesamcrème, eine Interpretation der Schlachtschüssel und kaltgeräucherte Forelle mit Meerrettich wandern durch meine Hände.

„Uwe, du musst mit raus, wir sind nicht genug im Service!“ schallt es mir entgegen. Im Sosein servieren alle, Service, Köche, Sommeliers. Ich schnappe mir zwei Teller, Thomas zeigt mir am Tableau, welche beiden Plätze ich zielsicher ansteuern und bedienen soll, dirigiert mich durch die Gänge des alten Fachwerkhauses.

Plötzlich ist Anspannung da, ein eher ungewohntes Gefühl für mich, da ich in meinem Job ja täglich mit Menschen zu tun habe und mein Geld mit Beratung verdiene. Die Küche ist ein geschlossener Raum, der Schutz bietet, ein Habitat, ein Hort der Anonymität. Aus diesem tauche ich in die Welt der Gäste ein, anderes Licht, andere Stimmung, Ruhe, höre nur die Stimmen der sich unterhaltenden Gäste, die verstummen, als wir zu viert das Gastzimmer betreten. Es ist wie das Eintauchen in eine andere Welt, ein kleiner Kick, ein frappierendes Erlebnis.

Wie der erste Tag endet

Um halb zwölf schickt Stefan die letzten Petit Fours, selbst gemachte Donuts aus Sauerteig, mit einer Crème serviert. Das Team räumt auf, spült ab, schafft Ordnung – und um kurz nach Mitternacht ist Feierabend.

Nach neun Stunden auf den Beinen bin ich müde, körperlich wie geistig, aber zufrieden. Felix und sein Team haben mich äußerst herzlich aufgenommen. Es stellt sich Freude ein. Auf den zweiten Tag meines Praktikums.

Offenlegung: Das Praktikum kam auf meine eigene Initiative zustande. Es existiert keine Geschäftsbeziehung zum Sosein.